Psychologisches Knowhow für die berufliche und Lehrpraxis


Psychologisches Knowhow für Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste, erscheint wahrscheinlich 02/20251

Das Buch „Psychologisches Knowhow für Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste – Verhalten verstehen, Einsätze optimieren“ (erscheint im November 2024 bei Springer) habe ich geschrieben, weil ich in meiner Zeit als Hochschullehrerin trotz einer variantenreichen Lehre immer wieder festgestellt habe, dass Praktiker*innen sich damit schwer tun, diese spannende Wissenschaft als Mehrwert oder Handwerkszeug für ihre Arbeit zu begreifen und produktiv zu nutzen.

Schon früh habe ich mich deshalb von den starren Vorgaben der häufig additiv zusammengesetzten Curricula in der Hochschullehre gelöst. Nicht selten beleuchten diese einzelne Disziplinen und Phänomene der Psychologie isoliert, d. h. in der herkömmlichen Lehrbuchlogik. Basis ist zuweilen Wissen, das ursprünglich für angehende Psycholog*innen konzipiert wurde. Es löst sich selten von fachdisziplinären Strukturen. Immerhin haben Psycholog*innen aus Anwendungsgebieten die Praxisbezüge in zahlreichen Publikationen inzwischen über Beispiele und Fallarbeit beleuchtet oder der Polizeipsychologie einen adäquaten Platz in der Ausbildung eingeräumt.

Ich habe mich bemüht, den Umgang mit der Psychologie von der Praxis ausgehend zu denken und gleichzeitig für die Anwendung einer psychologischen Denkweise als Einsatzmittel im Dienst zu werben.

Praktiker*innen benötigen für komplexe Erklärungen darüber, wie Menschen ticken, ein handhabbares, ganzheitliches Instrumentarium, das ihnen das Lesen von Menschen erleichtert und die gezielte Regulierung eigenen Verhaltens ermöglicht. Für Praktiker*innen ist es eher zweitrangig, die Psychologie als Wissenschaft mit all ihren Kontroversen, Teildisziplinen und Methoden zu verstehen. Sie müssen in der Lage sein, in den psychologischen Kosmos einzutauchen, sie müssen dort nicht heimisch werden wie Psycholog*innen das tun. Trotzdem darf psychologisches Knowhow nicht banal dargestellt werden oder den Charakter von Küchenpsychologie oder softigen Lebensweisheiten haben: Es geht darum, das psychologische Mindset praxistauglich zu machen und in die tägliche Arbeit zu implementieren.

Das Produkt ist trotzdem weit davon entfernt, ein klassisches Lehrbuch zu sein. Es richtet sich vielmehr an Praktiker*innen, die sich selbst psychologisch auf Ballhöhe bringen wollen. Deshalb enthält es Tools und Reflexionsimpulse. Es kann als Unterstützung der Lehre in der Ausbildung, aber auch in der Personalentwicklung und für die Qualifizierung von Führungskräften benutzt werden.

Das Buch nähert sich der wissenschaftlichen Psychologie in einem besonderen Kleid: Es vermittelt einerseits gut erforschte Phänomene und psychologische Mechanismen und betrachtet andererseits immer drei Perspektiven:

  • Wie lässt sich Verhalten als komplexes Zusammenspiel verschiedener innerer Prozessen – die gleichzeitig wirken – verständlich und praxisnah erklären?
  • Welche Stellschrauben ergeben sich daraus für die Regulierung des eigenen Verhaltens und für die Beeinflussung Anderer? Ziele sind Teilhabe, Synergie, eine konstruktive Kommunikation und die Gesunderhaltung von Einsatzkräften. Prägnant ausgedrückt: Es geht darum, bewusst im Arbeitsleben eine gesunde Balance herzustellen.
  • Wie lässt sich die Wachsamkeit für die Nuancen im Umgang mit Anderen steigern – vor allem bezogen auf psychologische Prozesse, die unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen und sich bewusstem Erleben eher entziehen? Wachsamkeit und eine gute Beobachtungsgabe sind ist die Voraussetzungen für Optimierung.

„Das Gehirn – als zentrale Steuereinheit – ist höchst effizient und außerordentlich klug. Es sammelt und strukturiert Erfahrungen und Lernergebnisse so, dass Sie als Einsatzkraft und Mensch immer wieder in ein Gleichgewicht kommen. Vertrauen Sie darauf, dass Ihre innere Matrix höchst effizient dafür sorgt, dass Sie anpassungsfähig bleiben. Sie müssen gar nicht auf alles mit einer bewussten Selbstoptimierung reagieren. Richtig eingestellt, sorgen viele unbewusste Prozesse ganz von allein für Ihr Wohlergehen und auch für eine professionelle Qualität“ (Kapitel 10: Gewinnbringende Regulation im dienstlichen Alltag).

„In der persönlichen Matrix sind alle Erfahrungen enthalten, die Sie mit Hilfe Ihres genetischen Basisprogramms bereits bearbeiten konnten. Aber nicht immer sorgen die Muster innerhalb der persönlichen Matrix für situationsangemessene Entscheidungen und adäquates Handeln, denn sie sind vor allem selbstbestätigend. Ihre persönliche Matrix erfüllt ihre Funktion dann besonders gut, wenn Sie Diskontinuitäten oder Defizite bewusst bei den Hörnern fassen. Dazu müssen Sie verkürzende oder beeinträchtigende Prozesse erkennen, regulieren und auch aktiv etwas für wünschenswerte Weiterentwicklungen tun. Das anfangs auftretende ungute Gefühl, wenn sich Ihnen eigene Defizite offenbaren, haben Sie sicher schnell überwunden“ (Kapitel 10: Gewinnbringende Regulation im dienstlichen Alltag).

„Einsatzkräfte … brauchen psychologisches Sockelwissen und Tools … Einsatzkräfte müssen nicht zu Psycholog*innen gemacht werden. Vielmehr müssen wir sie in die Lage versetzen, psychologisches Wissen so in ihre Arbeit zu integrieren, dass es leicht abrufbar und gut handhabbar ist. Wie eine Zutat in einem Kochrezept soll psychologisches Knowhow zur Optimierung der Ergebnisse beitragen – vorbereitend, begleitend oder nachbereitend. Nicht selten kann psychologisches Knowhow dem Einsatzhandeln den letzten Schliff verleihen“ (Kap. 3.1: Wissenschaft und Praxis: Zwei Mindsets, ein Anliegen).

  • „Die Hardware setzt sich daraus zusammen, was neurobiologisch und psychologisch als Basisfunktionen in jedem Menschen angelegt ist. Grundlage ist der Aufbau des Gehirns. Die 5 Regelsysteme und die Art, wie sie zusammenwirken, sind sozusagen die Schaltkreise in dem Mechanismus. Das Gehirn sorgt dafür, dass wir mit Hilfe der Systeme Informationen höchst effizient verarbeiten und abrufen.
  • Die Software besteht aus dem, was in das System im Laufe der Biografie, d. h. in konkreten Situationen als Erfahrung eingespeist wurde. Es geht um die unbewussten und bewusst verarbeiteten Erinnerungen und Erfahrungen. Manche Festlegungen finden in sensiblen und kritischen Perioden statt“ (Kap. 3.4.1: Häufig vollzogene Handlungen und Erfahrungen als Bausteine der persönlichen Matrix)

„Natürlich macht jeder Mensch mit der Regulation negativer Emotionen ganz persönliche Erfahrungen. Subjektiv werden die meisten Menschen ihre typischen, d. h. häufig praktizierten Regulationsmuster für richtig und empfehlenswert halten. Aus wissenschaftlicher Sicht ist nicht jede Strategie funktional: Obwohl das Unterdrücken von Emotionen akute Depressionsrisiken verringern kann (Schaefer et al., 2002, Larsen & Cowan, 1988), kann sich das auch negativ auf die Gründlichkeit der Aufgabenbearbeitung und die Aufmerksamkeitskapazität auswirken. Das heißt, wir machen mehr Fehler, wenn wir ständig Emotionen unterdrücken (Gross & Levenson, 1997).

Manchmal werden durch eine oberflächliche Regulation des Emotionsausdrucks subjektiv eine kurzfristige Entlastung und eine Art Durchatmen erzielt. Oft entsteht dabei auch nur die Illusion einer Beruhigung, weil wir innerlich schnell zur Ruhe kommen und der Puls sich merklich beruhigt. Wird eine Gefühlslage jedoch nur oberflächlich „bearbeitet“, ist wenig gewonnen. Das trifft zum Beispiel auf exzessives Kauf- oder Essverhalten oder auf das Bier nach Dienstschluss zu. Beides beruhigt oder beflügelt kurzfristig. Der Effekt hält aber nicht lange an, solange das eigentliche Bedürfnis nicht „gefüttert“ wurde“ (Kap. 5.9: Emotionale Regulation zwischen Unterdrücken und Bearbeiten)



Online-Lehre mit System, 20202

Mit dem Schreiben von „Online-Lehre mit System“ hatte ich schon vor der Covid19 Pandemie begonnen. Mit der Notwendigkeit, während des Lockdowns schnell auf Online-Lehre im Hochschulkontext umzustellen, wurde das Thema brisant. Mit Hilfe des Kolbschen Lernzyklus (Kolb & Kolb, 2013) – Kolb versteht Lernen als konstruktiven, aktiven Prozess, der mehrere Schritte des Erfahrens, Erlebens, Strukturierens und der Informationsverarbeitung benötigt – wird aufgezeichnet, wie Lehre durch Einbindung von Online-Elementen kleinschrittig und personalisiert ablaufen kann. Es geht nicht um ein Ersetzen von Präsenzlehre, sondern um ihre Ausschärfung mit Hilfe von synchronen und asynchronen digitalen Tools und die Einbindung von digitalen Elementen in die Präsenz und auf Distanz.

„Es steht außer Frage: Wer gute Online-Lehre will, muss als Lehrende/r die Komfortzone verlassen und gewohnheitsbedingte Trägheiten überwinden. Weder kann es darum gehen, die Online-Lehre zum einfachen Abklatsch der Präsenzlehre zu machen – wer meint, er könne seine frontale Lehre einfach dadurch ersetzen, dass er sie vor der Webcam ausführt, der irrt. Noch sichern ausgefeilte Gaming-Elemente automatisch Lernerfolg, wenn Studierende sich mit der Vertiefung von Wissen schwertun. Klassische und spielerische Herangehensweisen sind im richtigen Kontext wertvoll. Ohne Rückbindung an eine übergeordnete Lehrstrategie und ohne Passung zu basalen Lernmechanismen können sie die beabsichtigte Wirkung jedoch kaum entfalten“ (Online-Lehre mit System, S. 5)

„Es ist also keinesfalls so, dass Präsenzlehre grundsätzlich weniger vielfältig ist als Remote-Lehre. Allerdings lässt sich der Wechsel zwischen den realen und digitalen Lernräumen kreativ für Lehrvarianten nach Kolb nutzen. Studierende knüpfen an die Präsenzlehre oft andere Erwartungen als an die Online-Lehre. Bei der variantenreichen Online-Lehre lassen sich Lernende auf Lernmethoden ein, die in der Präsenzlehre weniger akzeptiert werden“ (Online-Lehre mit System, S. 39).

„Online-Lehre hat den Vorteil, dass sich Lernschritte personalisieren lassen. Während in der Präsenzlehre i. d. R. ein festes Zeitfenster einzuhalten ist und auf die Lerngeschwindigkeit der/des Einzelnen nicht immer Rücksicht genommen werden kann, lassen sich in Online-Sequenzen Lernprozesse individuell gut anpassen.

Wenn man davon ausgeht, dass jede/r Lernende/r ihren/seinen eigenen, persönlichen Lernstilmix mitbringt und zudem auf spezifische Backup-Stile zurückgreifen kann, werden Methoden, die personalisiertes Lernen ermöglichen, immer wirkungsvoller sein als globale Formate.

Lern-Module, in denen jede/r in der eigenen Geschwindigkeit Step-by-Step weiterkommt – neue Lernschritte lassen sich erst aktivieren, wenn vorauslaufende erfolgreich bearbeitet worden sind – sind vor allem dann hilfreich, wenn Studierende sich mit einem Lerninput beschäftigen müssen, der noch nicht gut in ihrem Lernstil-Repertoire etabliert ist. Voraussetzung ist hier immer, dass Studierende zwischendurch eigenständig Lernkontrollen vornehmen können, um Defizite auch zu erfassen. Der Wechsel zwischen Lernstilen und das Einstreuen motivierender Anteile können bei persönlichen Defiziten Druck aus dem Lernprozess nehmen.

Bei personalisierten Online-Angeboten spielt die Möglichkeit zur Wiederholung eine besondere Rolle. Was in der Präsenzlehre kontraproduktiv sein kann, weil Lernende unterschiedlich weit sind und vor allem Leistungsstarke bei der wiederholten Darbietung eines Lerngegenstands im Präsenzseminar aus Langeweile aussteigen würden, ist in der Online-Lehre leicht. Vor allem kann niemand ihr/sein Gesicht verlieren, wenn sie/er sich noch ein zweites oder drittes Mal mit einem Inhalt beschäftigen muss, bis die Zusammenhänge endgültig verstanden worden sind. Bieten Lehrende variantenreiche asynchrone Wiederholungsmöglichkeiten (also nicht nur Texte!) im Selbststudium an, respektieren sie den individuellen Lernstil der/des Lernenden und zeigen Wertschätzung“ (Online-Lehre mit System, S. 43).



  1. Eckert, M. (in press, 2024). Psychologisches Knowhow für Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste. Verhalten verstehen, Einsätze optimieren. Springer Gabler. ↩︎
  2. Eckert, M. (2020). Online-Lehre mit System. Springer Gabler. ↩︎